Die Musik der Seidenindustrie in Krefeld
Was haben historische Musterwebstühle, mechanische Musikinstrumente und moderne Computertechnologie gemeinsam? Tatsächlich arbeiten sie mit demselben Prinzip: Sie nutzen das binäre System aus Einsen und Nullen bzw. Impuls oder kein Impuls, um automatische Prozesse in Gang zu bringen.
Was sich heute jedoch so selbstverständlich auf winzigen Chipkarten abspielt, war im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert auf Lochkarten und Walzen noch deutlich sichtbar. Und ähnlich wie die Digitalisierung in den letzten Jahren unser Leben grundlegend verändert hat, war Anfang des 19. Jahrhunderts mit der Einführung der neuen Technik in der Textilproduktion nahezu eine Revolution verbunden: Bis dahin konnte ein geschickter Weber mit seinem Handwebstuhl viele verschiedene Muster herstellen. Aber die Muster waren in der Regel geometrisch und bestanden vor allem aus Längs- und Querstreifen. Der Franzose Joseph-Marie Jacquard entwickelte 1806 jedoch einen Webstuhl, bei dem die Kettfäden über große Karten aus Pappe gesteuert werden. Löcher in den Karten bewegen einen Mechanismus, der die Fäden einzeln anheben und senken kann. Mit dem Jacquard-Webstuhl können daher komplizierte, großflächige und vielfarbige Muster gewebt werden. In Krefeld führte die neue Technik zu einem Aufschwung der Seidenweberei und machte die Stadt reich.
Schon früher nutzten findige Handwerker das Prinzip „Impuls oder kein Impuls“ um mechanische Musikinstrumente herzustellen. Hier gaben gelochte Bänder oder eine mit Stiften versehene Walze die nötigen Impulse, um das Instrument zum Klingen zu bringen. Klavier, Drehorgel, Ziehharmonika, selbst Trompeten konnten durch diese frühe Form der „Digitalisierung“ ohne einen Musiker gespielt werden und unterhielten die Menschen, anfangs vor allem an Fürstenhöfen und Bürgerhäusern. Später wurden selbstspielende Instrumente auch breiteren Kreisen zugänglich, etwa als Dreh- oder Jahrmarktsorgeln oder als automatische Pianolas in Gaststätten. Im Jagdschloss des Museums Burg Linn verbinden sich nun beide Stränge – Musik und Seide – erneut miteinander.
Ausgehend von der umfangreichen Sammlung mechanischer Instrumente gibt die Ausstellung spannende Einblicke in die Kinderstube der Digitalisierung. Und sie führt darüber hinaus durch 200 Jahre Krefelder Musikgeschichte. Auch hier gibt es ungewöhnliche Entdeckungen zu machen: Denn wer weiß schon, dass der Komponist Johannes Brahms in den 1880er Jahre wiederholt Gast in Krefeld war? Oder dass der Erfolg des argentinischen Tangos eng mit der Stadt verbunden ist? Denn das Bandoneon, das dem Tango seinen unverkennbaren Klang gibt, wurde Mitte des 19. Jahrhunderts von einem Krefelder entwickelt: dem Musiklehrer und Instrumentenbauer Heinrich Band.