Frauen- und Demokratiebewegung am Niederrhein vor 100 Jahren
Von der oben zitierten revolutionären Forderung des Staatsmannes und Sozialkritikers Theodor von Hippels aus dem Jahr 1772 waren alle deutschen Staaten Ende des 18. Jahrhunderts noch weit entfernt. Selbst während der Revolution von 1848/49 war das Frauenwahlrecht in der Öffentlichkeit in Deutschland kein Thema gewesen. Zwar beteiligten sich Frauen wie beispielsweise die in Hattingen aufgewachsene Mathilde Franziska Anneke aktiv an Freischärlerzügen, doch die Forderung nach dem Frauenwahlrecht stellte auch die spätere Frauenrechtlerin Anneke 1848/49 noch nicht.
Louise Otto-Peters, die Vorreiterin der bürgerlichen Frauenbewegung in Deutschland, kritisierte ebenfalls die frühen Demokraten: „Wo sie das Volk meinen, zählen die Frauen nicht mit.“ Doch auch sie wagte – zumindest öffentlich – nicht, die Forderung nach dem Frauenwahlrecht zu stellen. Die erste Frau, die auf Reichsebene das Stimmrecht für Frauen öffentlich forderte, war schließlich die Schriftstellerin Hedwig Dohm 1873. Doch großen Widerhall fand dieser Appell zunächst nicht. Dies lag mit daran, dass auch für die meisten bürgerlichen Frauen „das rothe Gespenst der Frauenemanzipation“ lange Zeit ein Schrecken war. So blieb die Frage nach dem Frauenwahlrecht den „Radikalen“ innerhalb der Frauenbewegung vorbehalten.
„Können wir nicht wählen, so können wir doch wühlen“ – so lautete Mitte der 1870er Jahre die Losung sozialdemokratischer Frauen. Obwohl sich selbst in der SPD der Befürworter des Frauenstimmrechts, August Bebel, noch 1875 gegenüber seinen Parteigenossen nicht durchsetzen konnte, das Frauenwahlrecht zur Forderung der Sozialdemokraten zu erheben, unterstützten Frauen die Wahlkämpfe der Männer. Sie verteilten Flugblätter, hielten Versammlungen ab und traten öffentlich als Rednerinnen auf. Damit war zwar noch kein Frauenwahlrecht gewonnen, aber weiteres öffentliches Terrain erobert.
Als Clara Zetkin als Vertreterin der proletarischen Frauenbewegung im August 1907 in Stuttgart eine Internationale Frauenkonferenz organisierte, höhnten die Zeitungen, die „roten Emanzen“ hätten „die abgedroschene Frauenwahlrechtsfrage wieder aufs Tapet“ gebracht. Vier Jahre später – zum ersten Internationalen Frauentag 1911 – äußerten Frauen ihre Rechte lautstark und deutlich: „Her mit dem Frauenwahlrecht!“
„Der Wahlrechtskampf ist ein Kampf aufs Ganze, der Sieg eine Frage der Zeit“, prophezeite die Frauenaktivistin und spätere Abgeordnete Lore Agnes auf einer Versammlung in Düsseldorf. Sieben Jahre sollte es allerdings noch dauern: Nach der Novemberrevolution und dem Zusammenbruch des Deutschen Kaiserreiches trat am 30. November 1918 das allgemeine Wahlrecht für Frauen und Männer ab 20 Jahre in Kraft. Erstmals durften Frauen in Deutschland am 19. Januar 1919 aktiv und passiv wählen. Neuland in mehrfacher Hinsicht: unabhängig von Stand und Geschlecht durften die Menschen in Deutschland über die politische und gesellschaftliche Entwicklung mitentscheiden. Parallel zum politischen Aufbruch kam der gesellschaftliche und kulturelle der vermeintlich „wilden“ zwanziger Jahre.
Doch der Niederrhein ist nicht Berlin! Die Ausstellung richtet ihren Fokus auf die gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen am Niederrhein. Wie standen die Frauen am Niederrhein zur Frauenwahlrechtsfrage? Wie gingen sie mit dem neu erworbenen Recht um?
Die feierliche Eröffnung der Ausstellung sowie gleichsam des Themenjahres NEULAND – Terra incognita findet im Moerser Alten Landratsamt, Kastell 5, am 24. März um 11.30 Uhr statt.
Begleitprogramm - Themaprogramma
Am 19. Mai 2019, 11 – 18 Uhr: Damenwahl – Aktionstag zum Internationalen Museumstag
Am 10. Mai 2019, 19.30 Uhr: Die Geschichte der Frau. Lesung von Feridun Zaimoglu im Rahmen der Lesereihe „HORIZONTE Neuland“
Am 8. September 2019, 11 – 19 Uhr: Moderne Zeiten – Schlossfest
Führungen, Aktionen und weiteres Rahmenprogramm unter www.grafschafter-museum.de
Grafschafter Museum im Moerser Schloss
Kastell 9 | D-47441 Moers, Öffnungszeiten: Di – Fr: 10 – 18 Uhr | Sa, So, Feiertage: 11 – 18 Uhr, Tel.: +49 (0)2841 / 881 51-0 | Grafschafter-museum@moers.de, www.grafschafter-museum.de